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Befreiung abgesagt – Kommunikation auch

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Unter dem Titel „Total Liberation Demo“ wollten die Veranstalter*innen von Voice of Liberation, Animal Rights Watch und der Tierrechtsinitiative Aschaffenburg am 23. Januar 2016 in Wiesbaden alle emanzipatorischen Befreiungskämpfe für Mensch und Tier zusammen auf die Straße bringen. Nun wurde die Demonstration überraschend und kurzfristig abgesagt. Die offizielle Begründung wirft eine Reihe von Fragen auf.

Die Veranstalter*innen erklärten in ihrer Stellungnahme vom 18. Dezember 2015:

„Wir haben in der Bewegung eine Entwicklung wahrgenommen, die uns nicht nur nicht gefällt, sondern zunehmend erschreckt. Gerade Gruppen und Personen, die sich als emanzipatorisch bezeichnen, fallen durch ihren totalitären Anspruch und ihr repressives Vorgehen gegenüber anderen (vermeintlich weniger emanzipatorischen) Gruppen und Personen auf.“1

In ihrer Stellungnahme kritisieren die Veranstalter*innen „moderne Internetpranger“ und bezeichnen die beschriebenen Entwicklungen als Blockwart-Kultur“. Abschließend teilen sie mit:

„Wir meinen aber auch, dass es dringend eines Diskurses innerhalb der Bewegung über diese Entwicklung bedarf. Die Wiesbaden Total Liberation Demo 2016 sagen wir deswegen ab und werden für Anfang 2016 einige Diskussionsveranstaltungen organisieren und hoffen, dass wir nach etwas Reflexion die Basis haben werden, um das Thema Total Liberation in der Bewegung zukünftig besser adressieren zu können.“

Auf der Facebook-Seite von Voice of Liberation meldeten sich daraufhin eine Reihe von Tierrechtsaktivist*innen zu Wort, die der Stellungnahme keine schlüssige Begründung für die Absage der Demonstration entnehmen konnten.2 So wurde mehrfach gefragt, warum die Absage der Demonstration notwendig war. Schließlich stehe eine Diskussionsveranstaltung zu dem von den Veranstalter*innen beklagten Problem in keinem Zusammenhang und auch in keinem Widerspruch zu der planmäßigen Durchführung der Demonstration. Auch wurden Vorwürfe laut, die Veranstalter*innen würden einzelne, ungeklärte Konflikte auf dem Rücken der Bewegung austragen und dabei eine Spaltung derselben in kauf nehmen. Nach aktuellen Erkenntnissen gab es seitens der Veranstalter*innen keinerlei Versuche, die Veranstaltungs-Orga an eine andere Tierrechtsgruppe abzugeben. Eine anonyme Gruppe von Tierrechtsaktivist*innen verfasste zu der Absage einen offenen Brief, in dem es heißt:

„Ihr sagt einen Monat vorher und ohne jede öffentliche Diskussion, eine tradtionsreiche Demo ab und stellt die Bewegung damit vor vollendete Tatsachen. Nach dem Motto „Friss oder stirb“ betreibt ihr eine autoritäre antiemanzipatorische, die Bewegung ausschließende Entscheidungspolitik und haltet es nicht für nötig eure Aktion nachvollziehbar zu begründen.“(sic!)3

Voilib selbst reagierte auf keine der aufgeworfenen Fragen. Der Verein teilte in einem Facebook-Kommentar mit:4

Voice of Liberation Voilib

Welche Probleme die Gruppe in der digitalen Kommunikation sieht und wo diese zu erkennen seien, bleibt fraglich. Die Kommunikation in besagtem Thread verlief weitestgehend sachlich. Einzig eine Tierrechtsaktivistin, die sich hinter die Entscheidung der Veranstalter*innen stellte, beleidigte in diesem Thread Diskutant*innen und warf allen kritisch Nachfragenden vor, Fake-Profile von ein und der selben Person zu sein. Darüber hinaus lässt sich nicht nachvollziehen, warum die Veranstalter*innen eine Diskussion auf Facebook nicht für zielführend halten.

Wir haben Voice of Liberation (Voilib), Animal Rights Watch (ARIWA) und auch die Tierrechtsinitiative Aschaffenburg (TIA) schriftlich um Stellungnahme gebeten. Von keiner der drei Organisationen erhielten wir eine Antwort. Der Originaltext unserer Presseanfrage findet sich am Ende dieses Artikels.

Ist Indyvegan gemeint?

Unbestätigten Gerüchten zufolge sei mit „moderne Internetpranger“ auch unsere Seite gemeint. Wir selbst hatten die „Total Liberation Demo“ bisher nur einmal, und zwar positiv, in einer Frage im Rahmen unserer Total Liberation Interview-Serie erwähnt.5 Wir können uns daher nicht erklären, welcher Zusammenhang zwischen der Absage der Demonstration und unserem Netzwerk bestehen soll. Wir weisen an dieser Stelle darauf hin, dass sich seitens der Vorstände von ARIWA, Voilib und der TIA bis heute niemand mit Kritik an uns gewandt hat. Auch unabhängig von der Frage, welche „Gruppen und Personen“ die Organisator*innen in ihrer Stellungnahme meinen, bleibt unklar, woraus die Notwendigkeit der Absage der Veranstaltung resultiert.

Zusammenhang zum Fall „Kaesmacher“?

Ebenfalls unklar ist, inwieweit Gerüchte zutreffen, wonach die Absage der Demonstration im Zusammenhang mit Diskussionen um die ehemalige Mitarbeiterin des Vereins die tierbefreier e.V., Viola Kaesmacher, steht.6 Im Oktober 2014 hatte Kaesmacher, die bis dahin langjährige Mitarbeiterin des Vereins war, die Mitgliederliste einer geheimen Facebook-Gruppe an den rechtsradikalen Querfrontideologen Semael Nahash Karzinger7 weitergegeben, welcher diese wenig später auf der Website des rechtsradikalen Unternehmers Thomas Opalka8 veröffentlichte.9 Die Aktivist*innen der betroffenen Recherchegruppe engagierten sich gegen rechte Ideologien innerhalb der „veganen Szene“. Nach dem Vorliegen umfassender Indizien dafür, dass Kaesmacher die Liste weitergegeben hatte, nachdem sie im Rahmen einer Anfrage in ihrer Funktion als Tierbefreier-Mitarbeiterin in der Gruppe zu Gast war, wurde sie vom Verein entlassen. Auf der Mitgliederliste standen auch Aktivist*innen mit Klarnamen. Darunter auch Vereinsmitglieder der Tierbefreier. Einzelne Mitglieder stellten sich trotz dieses schwerwiegenden Vertrauensverlusts hinter Kaesmacher. Heiko Weber, Vorstand von Voilib und Mitorganisator der „Total Liberation Demo“, kritisierte die öffentliche Diskussion um den durch Kaesmacher begangenen Verrat und ihre politische Kooperation mit einem Rechtsradikalen als „systematische Existenzvernichtung“ und sah Viola Kaesmacher im „Fadenkreuz antideutscher Blockwarte“.10 Wenig später sagte Weber die Total Liberation Demo ab.

Die Diskussionen um Viola Kaesmacher haben für einige Turbulenzen innerhalb der Tierbefreier*innen-Szene gesorgt. Ein möglicher Grund für die Absage der Demonstration könnte sein, dass die Unterstützer*innen Kaesmachers innerhalb der Demo-Orga kein Interesse hatten, mit Tierrechtsgruppen gemeinsam eine Demo zu bestreiten, die sich in dieser Frage deutlich kritisch positionieren und nur wenig Mitleid für eine Person übrig haben, die antifaschistische Aktivist*innen an einen Neonazi verraten hat. Da die Veranstalter*innen auf unsere Anfragen nicht reagierten, können wir hier jedoch nur spekulieren.

„Blockwart-Kultur“

Nicht zuletzt irritiert uns, dass Gruppen und Organisationen wie Voilib, ARIWA und die Tierrechtsinitiative Aschaffenburg, die sich sonst klar gegen Holocaust-Analogien in der Tierrechtsarbeit aussprechen, antifaschistische Aufklärungsarbeit auf eine Stufe mit NS-Verbrechen stellen. Eine derartige Instrumentalisierung der NS-Verbrechen zur rhetorischen Aufladung der eigenen Stellungnahme mit einem Begriff wie „Blockwart“ finden wir absolut untragbar und mit emanzipatorischen Positionen unvereinbar. Das ist ein Schlag in die Gesichter der Opfer von NS-Verbrechen. Wir empfehlend den Veranstalter*innen an dieser Stelle dringend, sich mit dieser Begrifflichkeit und den dahinter stehenden Verbrechen auseinander zu setzen und sich dahingehend politisch fortzubilden.11

Fazit

Was bleibt, sind eine Reihe offener Fragen, eine fehlende, nachvollziehbare Begründung für die Absage einer wichtigen Veranstaltung und der Gesamteindruck einer konsequenten Kommunikationsverweigerung auf Seiten der Veranstalter*innen. Diese versuchen hier aus unserer Sicht, einer öffentlichen Diskussion bewusst aus dem Weg zu gehen. Zudem werden all jene aus der angekündigten, lokalen Diskussionsrunde ausgeschlossen, die daran aus finanziellen, aus logistischen Gründen oder aus Gründen der Wahrung ihrer Anonymität nicht teilnehmen können. Auch wir finden eine offene bewegungsinterne Diskussion über die Strategien im Umgang mit rechten Ideologien innerhalb der Szene wichtig. Der Zusammenhang einer solchen Diskussion mit der Total Liberation Demo in Wiesbaden erschließt sich uns auch nach längerem Nachdenken nicht.


Text unserer Presseanfrage:

Anrede,

in einer Stellungnahme vom 18. Dezember 2015 sagen die Organisator*innen
der "Total Liberation Demo Wiesbaden" die Veranstaltung ab. Hinsichtlich
unserer Berichterstattung zu diesem Vorgang bitten wir nun Sie als
Mitorganisator*innen der Demo um Stellungnahme zu unseren folgenden Fragen.

Damit wir diese Stellungnahme für unseren Artikel berücksichtigen
können, bitten wir Sie, uns diese bis Mittwoch 23.12.2015 14:00 Uhr
zurück zu senden.

1. Ist es richtig, dass Sie offiziell an der Organisation der o.g.
Veranstaltung beteiligt sind?

2. Waren Sie an der Entscheidung, diese Organisation abzusagen, beteiligt?

Wenn ja, hier weiter. Wenn nein, hier Ende.

Im Zusammenhang mit dieser Absage kam es unter Tierrechtsaktivist*innen
zu einiger Verwirrung und Kritik. Die konkreten Gründe für die Absage
werden in der Stellungnahme nicht genannt. So ist dort lediglich von
"Gruppen und Personen" die durch "totalitären Anspruch und ihr
repressives Vorgehen gegenüber anderen (vermeintlich weniger
emanzipatorischen) Gruppen und Personen" auffallen.

3. Welche Gruppen und Personen sind hier gemeint?

4. An welchen konkreten Beispielen wird diese Einschätzung festgemacht?

5. Es gibt Gerüchte nach denen damit "Indyvegan" gemeint sei. Ist das
richtig? Und wenn ja, welche Teile unseres politischen Engagements
vermitteln einen "totalitären Anspruch" und "repressives Vorgehen"? Und
warum hat sich aus dem Kreis der Organisator*innen bisher niemand mit
Kritik an unser Netzwerk gewandt?

6. Welcher kausale Zusammenhang besteht zwischen der Entscheidung die
Demonstration abzusagen und den in der Stellungnahme genannten, von den
Organisator*innen beobachteten Entwicklungen?

7. Wurde die Stellungnahme mit ihrer Organisation abgestimmt?

Wenn ja,...
8. Die Stellungnahme setzt mit der Bezeichnung "Blockwart-Kultur" die
Aufklärungsarbeit antifaschistischer Aktivist*innen mit Verbrechen der
Nazis auf eine Ebene. Damit wird Recherchearbeit, öffentliche
Aufklärung, das Üben öffentlicher Kritik und das Aufstellen von
Forderungen an NGOs und Veranstalter*innen mit der Bespitzelung und dem
Verrat von jüdischen Menschen und politischen Gegner*innen im
NS-Faschismus sowie deren darauffolgender Deportation gleichgesetzt.
Neben aller Kontroverse die man über antifaschistische Internetpranger
führen kann: Was war das Ziel dieser Rhetorik? Ging es darum, die
Verbrechen der Nazis auf das Level von Internetprangern herunter zu
relativieren oder sehen Sie antifaschistische Recherche- und
Aufklärungsarbeit tatsächlich als mit Nazi-Verbrechen vergleichbar an?

Die abschließende Begründung der Stellungnahme lautet:

"Wir meinen aber auch, dass es dringend eines Diskurses innerhalb der
Bewegung über diese Entwicklung bedarf. Die Wiesbaden Total Liberation
Demo 2016 sagen wir deswegen ab und werden für Anfang 2016 einige
Diskussionsveranstaltungen organisieren und hoffen, dass wir nach etwas
Reflexion die Basis haben werden, um das Thema Total Liberation in der
Bewegung zukünftig besser adressieren zu können."

9. Was sprach bei der Entscheidung, die Demonstration abzusagen,
dagegen, eine entsprechende Diskussionsveranstaltung zu planen, die
Demonstration aber dennoch durchzuführen?

10. Gab es Versuche, andere Organisationen und/oder Aktivist*innen für
eine Durchführung der Demonstration zu gewinnen, um an diese zu
übergeben, als klar war, dass das bisherige Orgateam die Veranstaltung
nicht durchführen möchte?

11. Es gibt eine Reihe von Akteur*innen, die für diese Demonstration
mobilisiert haben. Warum wurde die Bewegung nicht in diese Entscheidung
einbezogen?

12. Es gibt Mutmaßungen, dass die Entscheidung der Absage der
Veranstaltung in Zusammenhang mit den Diskussionen um "Viola Kaesmacher"
stehe. Ist das zutreffend? Und wenn ja: Welcher Zusammenhang besteht
dort genau?

13. Welche Vorkehrungen treffen die Organisator*innen, um auch den
Menschen eine Teilnahme an der angekündigten Diskussion zu ermöglichen,
die aus zeitlichen oder finanziellen Gründen nicht an einer "analogen"
Diskussionsrunde in Hessen oder Luxemburg teilnehmen können?

14. Welche Organisationen und Gruppen waren an der Entscheidung
beteiligt, die Demonstration abzusagen?

Wir danken schon vorab für Ihre Stellungnahme.

Der Beitrag Befreiung abgesagt – Kommunikation auch erschien zuerst auf Indyvegan.


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